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Warum Ärzte mehr wissenschaftliche Kompetenz benötigen

Neueste Studien lesen und interpretieren können, medizinische Leitlinien anwenden, Registerdaten erfassen, Statistiken verstehen – die Anforderungen an die Ärzte werden immer komplexer.

Dank Internet und künstlicher Intelligenz kann heute zwar jeder schnell und gründlich recherchieren. Doch um das geballte und sich rasant ändernde Wissen ständig neu einordnen, bewerten und Quellen nachprüfen zu können, brauchen Mediziner eine hohe Wissenschaftskompetenz. Diese müssten sie eigentlich in der Aus-, Fort- und Weiterbildung erwerben. Doch daran hapert es. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) fordert deshalb, die Vermittlung der Wissenschaftskompetenz im Studium und in der Fort- und Weiterbildung zu stärken und einheitliche Vorgaben zu erstellen.

Nachholbedarf im Studium

Eine wissenschaftliche Grundausbildung ist für alle klinisch tätigen Ärzte essenziell, um aus der Informationsflut in der medizinischen Fachliteratur neue Entwicklungen in Diagnostik und Therapie identifizieren und einordnen zu können. „Methodisch-wissenschaftliche Grundkenntnisse stellen eine Bedingung für die Anwendung evidenzbasierter Medizin dar“, sagt Univ.-Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF.

Eine deutschlandweite Befragung von Studierenden zeigt, dass sie die wissenschaftliche Kompetenz im Studium nicht ausreichend gefördert sehen. Ebenso wird berichtet, dass Ärzte in der Versorgung oft Probleme haben, Forschungsbefunde richtig zu lesen. Wie die Stärkung der Wissenschaftskompetenz im Medizinstudium funktionieren kann, zeigt die Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg bereits heute: In einem Modellstudiengang „MaReCuM“ ist ein obligatorischer Leistungsnachweis „Wissenschaftliches Arbeiten“ implementiert. Hier muss der Besuch von Veranstaltungen zur Literaturrecherche, evidenzbasierten Medizin, guten wissenschaftlichen Praxis, kritischen Beurteilung von wissenschaftlicher Evidenz und zu wissenschaftlichem Schreiben nachgewiesen werden. In einer Forschungsarbeit müssen die Studierenden abschließend eine eigene wissenschaftliche Leistung erbringen. Laborpraktika, Versuchsplanung, Biomathematik, Epidemiologie und evidenzbasierte Medizin in der Klinik runden das Curriculum ab. „Durch frühe Forschungserfahrungen im Studium kann das Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten geweckt werden, was auch den Nachwuchsmangel in der medizinischen Forschung lindern könnte. Deshalb fordern wir als AWMF, die Vermittlung von wissenschaftlichen Kompetenzen im Medizinstudium zu fördern“, betont Treede.

Versorgungsdaten richtig interpretieren

Derzeit wird die Wissenschaftskompetenz auch in den Weiterbildungsordnungen nicht adäquat abgebildet. „Als Wissens-, aber nicht Handlungskompetenz werden allgemein nur ethische, wissenschaftliche und rechtliche Grundlagen ärztlichen Handelns genannt“, betont Univ.-Prof. Dr. Erika Baum, Vorsitzende der Ständigen Kommission Qualitätsentwicklung in Forschung und Lehre der AWMF. Aus Sicht der Expertin reicht das aber nicht aus. „Ärzte müssen fähig sein, Daten aus dem Versorgungsalltag wissenschaftlich aufbereiten zu können, damit sie für die Forschung nutzbar werden – nicht nur an der Universitätsklinik, sondern flächendeckend“, so Baum. Das sei wichtig, da Registerstudien oder Forschungspraxisnetze helfen, Innovationen zu generieren und die Qualität von Behandlungen zu prüfen, die dann wiederum die Patientenversorgung verbessern. Dafür müssen jedoch Forschungszeiten für die ärztliche Weiterbildung anerkannt werden. In der Praxis sieht das anders aus. Es gibt kein einheitliches Vorgehen, ob und wie wissenschaftliche Tätigkeit anerkannt wird. Einige Ärztekammern sind großzügig, wenn der Gesamtrahmen eine sinnvolle Strukturierung der Weiterbildung zeigt, andere schließen Zeiten wissenschaftlicher Tätigkeit ohne direkten Patientenkontakt kategorisch aus.
„Kurzfristig fordern wir, dass generell sechs Monate im Bereich klinischer Forschung oder Versorgungsforschung auf die Weiterbildungszeit angerechnet werden“, so Baum. Je nach Programm können dies bis zu 24 Monate mit überwiegend forschungsorientierter Tätigkeit sein. Nur wenn die Verbindung von Forschung, Lehre und Versorgung gelinge, können die Patienten bestmöglich und wissenschaftlich fundiert behandelt werden, sind sich die Experten einig. rh

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© istockphoto/megaflopp