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Prim. Univ.-Prof. Dr. Trimmel: Notärzte: ÖGARI-Positionspapier – Indikationen zum Einsatz

Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) publizierte als notfallmedizinische Fachgesellschaft im Rahmen ihres Jahreskongresses ein Positionspapier zur „Indikation für den Notarzteinsatz“. Es zeigt Entwicklungspotenziale und Lösungsansätze auf, um die – in Österreich in Länderkompetenz stehende – Notfallversorgung langfristig auf hohem Niveau sicherzustellen.

AUTOR:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Helmut Trimmel, MSc
Leiter der Anästhesie, Notfall- und Allgemeine Intensivmedizin
LK Wiener Neustadt

Die prähospitale Notfallmedizin in Österreich ist mehrstufig aufgebaut und stützt sich neben der sanitätsdienstlichen Versorgung auf rasch verfügbare notärztliche Behandlung. Das System ist zu jeder Zeit sowohl mit bodengebundenen als auch tages- und witterungsabhängig mit Luftrettungsmitteln flächendeckend verfügbar. Aktuell ist ein diensthabender Notarzt für die Versorgung von rund 55.000 Einwohnern zuständig, rund 130 Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF) sowie bis zu knapp 40 Notarzthubschrauber (NAH) stehen bundesweit zur Disposition. Von Notärzten erwarten sich die Menschen vor allem ein rasches Eintreffen am Notfallort und medizinisch-fachliche Kompetenz. In der prähospitalen Versorgung stehen für die Patienten Symptomkontrolle, wirksame Schmerzbehandlung, angemessenes und einfühlsames Verhalten, Aufklärung über weitere notwendige Schritte sowie die Auswahl des richtigen Zielkrankenhauses im Vordergrund.

Die Problematik liegt im Detail

Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Zahl der Rettungs- und Notarzt­einsätze österreichweit kontinuierlich ansteigt. Die Gründe finden sich in einer zunehmend ausgedünnten Regelversorgung im niedergelassenen Bereich, fehlenden mobilen Diensten, in demografischen Veränderungen und einem gestiegenen Anspruchsverhalten der Bevölkerung sowie wohl auch in zunehmender Rechtsunsicherheit der Leitstellen in Hinblick auf Qualifikation und Einsatz des nichtärztlichen Rettungsdienstes. Daraus resultiert letztendlich ein hoher Anteil retrospektiv nicht-indizierter bzw. bereits noch während der Anfahrt stornierter Notarzteinsätze.

Angesichts des Status quo ist es dringend erforderlich, die Abfragen in den Leitstellen und die daraus abgeleitete Ausrückordnung zu präzisieren, um Notärzte weitestgehend zu indizierten Einsätzen zu disponieren. Bei den absoluten Fehlein­sätzen – das sind jene ohne Patientenkontakt wie etwa Stornos – muss eine Rate von weniger als 10 % angestrebt werden. Relative Fehlberufungen, das sind jene, wo keine notärztliche Interventionsnotwendigkeit erforderlich ist, sollten deutlich unter 25 % liegen.

Die Etablierung eines bundesweit einheitlichen und verbindlichen Indikationskatalogs für Notarztrettungsmittel soll Klarheit bezüglich des effizienteren Einsatzes von Notärzten in der prähospitalen Notfallversorgung schaffen. Notfallabfragesysteme müssen besser in der Lage sein, nicht dringliche Notfälle von dringlichen zu unterscheiden und eine angemessene Versorgungsstufe („Level of Care“) zu empfehlen.

Qualifikation des nichtärztlichen Personals

Rettungs- und Notfallsanitätern, aber auch Leitstellenpersonal muss im Rahmen ihrer Ausbildung in erster Linie mehr klinische Erfahrung in der Beurteilung des Patientenzustands vermittelt werden. Das 2002 verlautbarte Sanitätergesetz, das die Ausbildung und den Tätigkeitsumfang regelt, ist mittlerweile in die Jahre gekommen: Reformbedarf ist hier dringend gegeben. In einem ersten, kurzfristig umsetzbaren Schritt braucht es aber grundsätzlich nicht ein Mehr an Kompetenzen auf gesetzlicher Basis, sondern mehr klinische und prähospitale Erfahrung am Patienten, also Ausbildung, um sich auf dieser Basis eine bessere Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit anzueignen. Mittel- bis langfristig muss für das nicht­ärztliche Personal ein Berufsbild erreicht werden, was natürlich mit einer deutlichen Intensivierung und auch Verlängerung der Ausbildung einhergeht.

Mittelfristiges Ziel muss es also sein, die klinische Qualifikation des nichtärztlichen Personals generell, und vor allem jene der Notfallsanitäter, durch eine quantitativ und qualitativ verbesserte Ausbildung zu erhöhen, damit zukünftig die entsprechenden Kompetenzen übertragen und notärztliche Ressourcen freigespielt werden können.

Versorgungsstrukturen optimieren und koordinieren

Aber auch die extramurale ärztliche Regelversorgung muss dringend verbessert und gestärkt werden. Dies könnte zum Beispiel durch einen entsprechenden Versorgungsauftrag an Primärversorgungszentren zur akutmedizinischen Unterstützung erreicht und diese damit besser in die Versorgung von Akutfällen integriert werden. Eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen der prähospitalen Notfallmedizin und der übrigen extramuralen Versorgung (Akut- bzw. Regelversorgung) ist anzustreben.

Systemübergreifende Qualitätssicherung etablieren

Innerhalb der Rettungsorganisationen und Leitstellen sollte – dem Beispiel Tirol folgend – in jedem Bundesland ein nachhaltiges, unabhängiges ärztliches und rettungsdienstliches Qualitätsmanagement etabliert und umgesetzt werden. Integraler Bestandteil jedes standardisierten Notrufabfragesystems muss ein umfangreiches Qualitätsmanagementsystem sein. Die Basis dessen wäre jedoch zunächst eine österreichweit einheitliche Dokumentation der Rettungs- und Notarzteinsätze. Auch dazu hat die ÖGARI bereits einen Vorschlag unterbreitet.

Quellen:
1) Baubin, M., Neumayr, A., Eigenstuhler, J., Nübling, M., Lederer, W., & Heidegger, T. (2012). Patientenzufriedenheit in der prähospitalen Notfallmedizin. Notfall+ Rettungsmedizin, 15(3), 225-233.
2) Troppmair T, Egger J, Krösbacher A et al. Evaluierung der NEF-Fehl- und Übergabeeinsätze im Raum Innsbruck. Die Anaesthesiologie 2022;71:272-280].
3) Prause G, Wildner G, Gemes G, Zoidl P, Zajic P, Kainz J, Pock M, Trimmel H. Notfall Rettungsmed 2017; 20:501–508
4) Mayr B. Strukturierte bzw. standardisierte Notrufabfrage. Leisten die Systeme tatsächlich, was sie vorgeben zu leisten? Hintergrund. Zusammenfassung. Abstract Notfall Rettungsmed. 2020;23:505–512
 

Der 10-Punkte-Forderungskatalog der Sektion Notfallmedizin der ÖGARI

  1. Implementierung und kontinuierliche Weiterentwicklung eines bundeseinheitlichen, verbindlichen Indikationskatalogs zum Notarzteinsatz.
  2. Schaffung gesetzlicher Grundlagen und Finanzierung einer quantitativ und qualitativ verbesserten Ausbildung der Rettungs- und Notfallsanitäter sowie des Leitstellenpersonals.
  3. Schaffung der gesetzlichen Grundlagen auf Bundesebene zur Sicherstellung eines Berufsschutzes für Berufssanitäter und Leitstellenpersonal als Konsequenz der umfassenderen Ausbildung.
  4. Verbindliche Präsenz von Notfallsanitätern während der Versorgung und des Transports von Notfallpatienten. Festschreibung entsprechender Verfahrensanweisungen durch die Rettungsdienstbetreiber.
  5. Implementierung einer abgestuften und qualifizierten prähospitalen Versorgungsstruktur durch mobile Dienste, ärztlichen Bereitschaftsdienst sowie Rettungs- und Notarztdienst nach bundeseinheitlicher Vorgabe unter Zusammenarbeit aller Stakeholder des Gesundheitswesens.
  6. Implementierung eines – von Rettungsorganisationen und Leitstellen unabhängigen – ärztlichen Leitungsteams für jedes Bundesland.
  7. Lenkung der Patientenströme als ärztlich unterstützte Aufgabe zentraler Leitstellen unter Einsatz standardisierter und qualitätsgesicherter Werkzeuge.
  8. Etablierung eines bundesweit einheitlichen, elektronisch unterstützten Dokumentationsstandards zur Sicherstellung eines umfassenden, ergebnisorientierten Qualitätsmanagements.
  9. Förderung der Entwicklung von unterstützenden Systemen der prähospitalen Versorgung wie Telenotarzt-Systeme, verpflichtende Visitentätigkeit der PHCs, Implementierung von ACNs, First-Responder-Systemen und Vergleichbarem.
  10. Forschungsförderung in der prähospitalen Notfallmedizin sowie Unterstützung von Registern zur Förderung der wissenschaftlichen Evaluierung und Qualitätssicherung – z. B. Reanimationsregister. Einrichtung eines Lehrstuhls für präklinische Notfallmedizin an den medizinischen Fakultäten österreichischer Universitäten.
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Prim. Univ.-Prof. Dr. Helmut Trimmel, MSc. Foto: zvg
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Foto: istockphoto/ollo