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Prim. Priv.-Doz. Dr. Sandhofer / Landesklinik Hallein: Innovative Altersmedizin

Welche Rolle spielt die Akutgeriatrie und Remobilisation (AG/R) als multimodales und multiprofessionelles Therapiekonzept zur Erhaltung von Selbstständigkeit und Lebensqualität im Alter?

Welche Rolle spielt die Akutgeriatrie und Remobilisation (AG/R) als multimodales und multiprofessionelles Therapiekonzept zur Erhaltung von Selbstständigkeit und Lebensqualität im Alter?

Autor:
Prim. Priv.-Doz. Dr. Anton Sandhofer
Leiter Abteilung für Innere Medizin, Stv. Ärztl. Direktor Landesklinik Hallein,
an.sandhofersalk.at,
www.salk.at

 Durch die bedeutenden Fortschritte der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten verschiedenster internistischer, neurologischer und chirurgischer Krankheitsbilder steigen die Lebenserwartung und die Anzahl betagter Patienten deutlich an. Andererseits stellt der zunehmende Mangel an pflegerischem und medizinischem Fachpersonal unsere Gesellschaft vor zunehmende, kaum beherrschbare Herausforderungen in der Versorgung älterer Menschen, die aufgrund ihrer Polymorbidität und zunehmenden Gebrechlichkeit ihre Selbstständigkeit verloren haben. Daher gewinnt die Akutgeriatrie und Remobilisation (AG/R) zunehmende Bedeutung in der Gesundheitslandschaft.

Ziele der AG/R

Häufig leben alte Patienten trotz ihrer oft zahlreichen Komorbiditäten noch selbstständig und bewältigen ihren Alltag ohne größere Einschränkungen, bis eine plötzliche Erkrankung oder Verletzung, wie etwa ein Schlaganfall oder eine Schenkelhalsfraktur, zu einer akuten Krankenhauseinweisung führt. An den entsprechenden Fachabteilungen besteht naturgemäß die Bestrebung, den Patienten nach Abschluss der Akutversorgung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu entlassen, um Kapazitäten zur Versorgung weiterer Akutfälle freizumachen. Bei älteren Patienten kann dies leicht zu einem Verlust der zuvor gelebten Autonomie und Funktionalität führen. Daraus leiten sich die im „Prozesshandbuch Akutgeriatrie/Remobilisation“ der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) definierten Ziele der AG/R ab:

  • Behandlung der akuten Erkrankung der Patienten;
  • Wiederherstellung und Erhaltung der Fähigkeit zur weitgehend selbstständigen Lebensführung;
  • Vermeiden weiterer Funktionsverluste;
  • Erhöhen von Lebensqualität;
  • Reintegration der Patienten in das gewohnte Umfeld und
  • bei intendierter Rehabilitation im Anschluss an die AG/R-Versorgung Herstellen der Rehabilitationsfähigkeit.

Aus diesen Zielen ergeben sich auch die Aufnahmekriterien für die Patienten auf eine AG/R. Im Vordergrund steht in erster Linie nicht das Alter des Patienten, sondern die Multimorbidität, die im Rahmen einer akuten Erkrankung zu einer Einschränkung oder auch zu einer Bedrohung der Selbstständigkeit führt. Eine Intervention im Sinne der AG/R sollte jedoch durch geeignete funktionsfördernde bzw. -erhaltende Maßnahmen soweit erfolgreich sein, dass eine Reintegration möglich ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass nur Patienten, die wieder in ein selbstständiges Leben entlassen werden können, an einer AG/R behandelt werden. Auch Patienten mit höherem Pflegeaufwand können von einer Behandlung an der AG/R profitieren und wieder mehr Lebensqualität erlangen.

Stellenschlüssel für Gesundheitspersonal

Um diese Ziele zu erreichen, werden von einer Abteilung für AG/R exakt definierte Strukturen gefordert. Dadurch wird ein multiprofessioneller Behandlungsansatz mit einem geriatrisch qualifizierten, interdisziplinären Team und einem multidimensionalen Behandlungs- und Betreuungsangebot, das medizinische, funktionelle, psychische, kognitive und soziale Aspekte der Erkrankungen geriatrischer Patienten gleichermaßen berücksichtigt, gewährleistet. Die GÖG hat daher einen exakten Stellenschlüssel betreffend Ärzte, diplomierte Pflege, Physio- und Ergotherapie, Diätologie, Logopädie, Sozialarbeit und Klinischer Psychologie pro Bett festgelegt. So werden die personellen Voraussetzungen für eine gemeinsame Versorgung der geriatrischen Patienten durch unterschiedliche Professionen im Sinne einer Teamarbeit geschaffen, die sich durch eine gemeinsame Zielsetzung und Abstimmung des therapeutischen Vorgehens im Sinne einer Inter- und Transdisziplinarität und daraus folgender patientenorientierter Behandlung auszeichnet.
Insbesondere geriatrische Patienten profitieren in großem Ausmaß von dieser auf die komplexe Situation abgestimmten Betreuung. Diese umfasst ein interdisziplinäres Herangehen unter Einbeziehung aller Professionen. Ein zentrales Element zur Umsetzung einer gezielten, individuell auf den Patienten zugeschnittenen Behandlung stellt am Beginn des stationären Aufenthaltes ein umfangreiches Assessment diverser geriatrischer Syndrome durch eine speziell ausgebildete Assessment-Nurse dar. Die geriatrischen Syndrome umfassen neben den häufig als „die großen 6 I der Geriatrie“ bezeichneten Syndromen Immobilität, Instabilität (Sturzneigung), Inkontinenz, intellektueller Abbau (Demenz), Insomnie und iatrogene Probleme (Polypharmazie und verminderte Arzneimitteltoleranz) noch Mangelernährung, Gebrechlichkeit (Frailty), Schmerzen und Depression. Hierzu stehen unzählige, teils sehr ausführliche Diagnosealgorithmen zur Verfügung.

Ressourcenorientierung im Vordergrund

In der täglichen Praxis empfiehlt es sich, im Sinne eines ressourcenschonenden und die Patienten möglichst wenig belastenden Vorgehens zu Beginn des Aufenthaltes kurze Screening-Tests durchzuführen, um in weiterer Folge bei einem auffälligen Ergebnis ein weiteres vertieftes Assessment durchzuführen oder den Patienten der entsprechenden Profession (Physiotherapie, Diätologie, Klinische Psychologie) zuzuweisen. Solche Screening-Tests sind zum Beispiel: SNAQ (Simplified Nutrition Assessment Questionnaire), Timed Up and Go Test, Geriatrische Depressionsskala (GDS), Sozialfragebogen nach Nikolaus, Uhrentest nach Watson. Dies ermöglicht zudem eine Orientierung an den Ressourcen und Kompetenzen des Patienten, um insbesondere die Fähigkeiten, die gefunden werden, zu stärken und so Defizite, die häufig bleibend sind, ausgleichen zu können und so die Autonomie zu stärken und eine Reintegration in das gewohnte Umfeld zu ermöglichen. Zu beachten ist, dass das Basis-Assessment idealerweise nicht unmittelbar nach Aufnahme, sondern erst am zweiten oder dritten stationären Tag durchgeführt wird, da insbesondere die Testung hinsichtlich Stimmung und Kognition erst nach Aufbau eines gewissen Vertrauensverhältnisses des Patienten zu dem geriatrischen Team aussagekräftige Resultate erzielen lässt.

Lebensperspektive der Patienten beachten

Da es sich im Bereich der Akutgeriatrie um polymorbide Patienten handelt, sind eine Hierarchisierung der Probleme und eine Priorisierung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen gefordert. Insbesondere aufgrund der multiplen Erkrankungen und der daraus resultierenden psychischen und physischen Instabilität sowie der abweichenden Pharmakodynamik und der Interaktionen von Arzneimitteln ist der Geriater gefordert, eine gründliche Evaluierung des Nutzens und der Risiken von therapeutischen Maßnahmen durchzuführen, etwa durch regelmäßige klinisch-pharmakologische Visiten. Daraus folgt auch, dass diagnostische Schritte immer hinsichtlich der daraus folgenden therapeutischen Schritte erwogen werden müssen. Letztendlich muss neben den häufig komplexen Krankheitsbildern auch die Lebensperspektive der Patienten in die Entscheidungen einfließen, um die Zahl der Maßnahmen – sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Hinsicht – zu begrenzen.

Auf Basis eines professionellen, exakten Assessments lässt sich eine auf die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten des Patienten individuell abgestimmte Behandlung durchführen und die Aufenthaltsdauer optimieren. Geriatrische Patienten kennzeichnet jedoch eine längere Rekonvaleszenz. Daher ist es wesentlich, dem Patienten genügend Zeit zu gewähren, um das Therapieziel zu erreichen und ihn im idealen Fall wieder in seine gewohnte Umgebung zu entlassen. Im Rahmen regelmäßiger interdisziplinärer Fallbesprechungen werden bei mangelnder oder fehlender Besserung die möglichen Ursachen erhoben und evaluiert, ob die therapeutischen Maßnahmen oder das Therapieziel angepasst werden müssen oder ob der Patient lediglich noch mehr Zeit benötigt, um das Therapieziel zu erreichen.

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Aktivierende Pflege: Gedächtnistraining mit Sprichwörtern. Foto: Landesklinik Hallein
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Prim. Priv.-Doz. Dr. Anton Sandhofer