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Haftung bei ärztlicher Anweisung: Dürfen sich Ärzte auf das Pflegepersonal verlassen?

„Dürfen sich Ärzte auf das Pflegepersonal verlassen?“, fragt man sich womöglich nach einer unlängst ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung zu der Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, wenn eine Ärztin einer Patientin ein falsches Medikament verabreicht, dessen Vorbereitung die Ärztin zuvor an eine Diplompflegerin delegiert hat.

„Dürfen sich Ärzte auf das Pflegepersonal verlassen?“, fragt man sich womöglich nach einer unlängst ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung zu der Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, wenn eine Ärztin einer Patientin ein falsches Medikament verabreicht, dessen Vorbereitung die Ärztin zuvor an eine Diplompflegerin delegiert hat.

AUTOR: Dr. Michael Straub LL.M., Rechtsanwalt mit Schwerpunkten Medizin-, Krankenanstalten- und Gesellschaftsrecht, m.straubnorthcote.at

Die – stark vereinfachte – Antwort auf diese Frage lautet: Ja, sie dürfen. Sie müssten die Vorbereitung einer delegierungsfähigen Maßnahme nicht einmal mehr überprüfen. Wenn sie es aber doch tun – das Überprüfen –, dann müssen sie es gründlich tun. Aber der Reihe nach:

Die Delegation zur Vorbereitung eines Medikaments

Eine Spitalsärztin beauftragte eine Diplompflegerin mit einer alltäglichen Aufgabe im Spitals- bzw. Ordinationsbereich: mit der Vorbereitung eines Medikaments für eine Patientin, die sich stationär im Spital der beiden Vorgenannten befand. Die ursprüngliche Anweisung der Ärztin an die Pflegerin erfolgte dazu telefonisch. Dabei kam es scheinbar zu einem Missverständnis über den Namen des zu verabreichenden Medikaments. Die Pflegerin wunderte sich über die – falsch verstandene – Anweisung und fragte nach. Aber auch dabei klärte sich das Missverständnis infolge einer gewissen Namensähnlichkeit des genannten bzw. verstandenen Medikaments nicht sofort auf. Die Pflegerin bereitete also das – falsch verstandene – Medikament vor.

Die telefonische ärztliche Anweisung

In diesem Zusammenhang stellt sich bereits die rechtliche Frage, ob die Anweisung der Ärztin zur Vorbereitung des Medikaments telefonisch hätte erfolgen dürfen. Der Oberste Gerichtshof erkannte zwar die Zulässigkeit der „mündlichen“ Anordnung im gegenständlichen Fall an. Er ging aber nicht darauf ein, ob auch eine „fernmündliche“ Anordnung zulässig ist. Zwar sind fernmündliche ärztliche Anordnungen in der heutigen Zeit gängige Praxis. Der betreffende Gesetzestext für die Zulässigkeit einer mündlichen ärztlichen Anordnung schreibt jedoch vor, dass dabei „die Eindeutigkeit und Zweifelsfreiheit der Anordnung sichergestellt sind“. Bei einer fernmündlichen Anordnung via Funknetz (Mobiltelefon) können diese Voraussetzungen schon einmal unsicher sein – etwa durch einen schlechten Empfang oder ein Funkloch. In Kombination mit der Namensähnlichkeit zweier Medikamente kann die Eindeutigkeit und Zweifelsfreiheit der Anordnung bei einer Übertragung via Funknetz sogar stark leiden. Telefonische Anordnungen sind daher – für sich alleine genommen – mitunter rechtlich heikel. Aus Sicht der Beteiligten empfiehlt es sich daher im Zweifel, das übereinstimmende Verständnis der Anordnung durch geeignetes Rückfragen wie etwa durch Buchstabieren oder Bestätigung per SMS oder bei einer nachfolgenden persönlichen Begegnung zu verifizieren.

Der Vorfall und seine Folgen

Bedauerlicherweise hat sich das Missverständnis im gegenständlichen Fall aber auch nicht bei der nachfolgenden persönlichen Begegnung zwischen der Ärztin und der Pflegerin aufgeklärt. Die Ärztin übernahm das vorbereitete (falsche) Medikament nur mit einer flüchtigen Prüfung und verabreichte es der Patientin. Erst als es der Patientin danach noch schlechter ging und die Ärztin und die Pflegerin nochmals über das verabreichte Medikament sprachen, klärte sich das Missverständnis auf. Die Ärztin reagierte daraufhin sofort (richtig) und die Patientin erlitt keinen weiteren Schaden. Der Spitalsträger sah in diesem Vorfall allerdings einen Entlassungsgrund und entließ die Ärztin. Diese klagte gegen ihre Entlassung und bekam diesbezüglich recht. Nach Ansicht des OGH bildete dieser Vorfall keinen Entlassungsgrund. Der Spitalsträger hätte die Ärztin allenfalls kündigen, aber eben nicht sofort entlassen dürfen.

Flüchtige Prüfung ein Sorgfaltsverstoß

Was der Oberste Gerichtshof aber sehr wohl beanstandete, war, dass die Ärztin das vorbereitete Medikament nur flüchtig prüfte und dabei übersah, dass es sich um das falsche Medikament handelte. Der Oberste Gerichtshof gestand der Ärztin zwar zu, dass sie die Vorbereitung des Medikaments an die Pflegerin delegieren durfte. Er gestand ihr auch zu, dass sie das vorbereitete Medikament im gegenständlichen Fall nicht einmal mehr hätte überprüfen müssen. Aber nachdem sie dies nur flüchtig tat, erblickte der Oberste Gerichtshof darin eine Sorgfaltsverletzung. Die Ärztin hätte dabei erkennen können, dass es sich beim vorbereiteten Medikament um das falsche handelte. Auch wenn die Ärztin grundsätzlich keine Kontrollpflicht des von der Pflegerin vorbereiteten Medikaments traf, so hätte sie in der konkreten Situation doch den bei der Vorbereitung des Medikaments unterlaufenen Fehler erkennen können, hätte sie das Etikett mit dem Inhalt des Medikaments verglichen. Zu dieser Überprüfung wäre sie nach den konkreten Umständen auch verpflichtet gewesen.

Vorsicht bei der Schlussfolgerung

Bei der Auslegung der höchstgerichtlichen Entscheidung ist jedoch Vorsicht geboten. Und zwar konkret beim Zugeständnis, dass die Ärztin das vorbereitete Medikament im gegenständlichen Fall nicht einmal mehr hätte überprüfen müssen. Es könnte dabei der Eindruck entstehen, dass ein Arzt mit Blick auf eine Haftung besser beraten wäre, vor der Gabe eines Medikaments, dessen Vorbereitung er oder sie zuvor zulässigerweise an eine Pflegefachkraft delegiert hat, gar nicht mehr zu überprüfen (als nur flüchtig), bevor er oder sie es verabreicht. Denn selbst eine bloß flüchtige Prüfung scheint mitunter mehr Probleme zu schaffen als gar keine Prüfung. Eine solche Interpretation der gegenständlichen Entscheidung wird aber wohl nicht beabsichtigt sein. Von einer solchen Herangehensweise wäre daher auch abzuraten. Die vom Spitalsträger gegenüber der Ärztin ausgesprochene Entlassung erkannte der Oberste Gerichtshof letztlich für unzulässig, weil es sich um einen einmaligen und nicht so schwerwiegenden Sorgfaltsverstoß handelte, der eine sofortige Auflösung des Dienstverhältnisses nicht rechtfertigte. Für das tägliche Zusammenspiel zwischen Medizinern einerseits und den medizinischen Assistenzberufen andererseits jedoch liefert die Entscheidung wieder ein Beispiel für die Sorgfaltspflichten der beteiligten Akteure an dieser Schnittstelle. Nach Ansicht des Autors endet diese Sorgfaltspflicht aber nicht auf der Ebene dieser Akteure, sondern betrifft auch den Spitalsträger. Denn dieser hat im Wege des (verpflichtenden) Risikomanagements auch für ein entsprechendes Schnittstellenmanagement zu sorgen. Andernfalls kann auch der Spitalsträger für derartige Fälle haftbar werden.

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Foto: istockphoto/AlexRaths
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Dr. Michael Straub LL.M. Foto: ZVG