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Gemeinsam für eine bessere Patientenversorgung

Die Rolle von Klinischen Psychologen und Gesundheitspsychologen in der Primärversorgung: Aufgaben, Handlungsmöglichkeiten und Zusammenarbeit.

Autorin:
a.o. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger
Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP),
www.boep.or.at

Das Gesundheitssystem erlebt gegenwärtig einen beispiellosen Wandel. Dies ist einerseits auf demografische Veränderungen zurückzuführen. Die Bevölkerungszahlen steigen kontinuierlich an, was zu einer höheren Prävalenz von Multimorbidität führt. Die Pandemie hat außerdem zu einer signifikanten Zunahme von psychischen Erkrankungen geführt. Diese Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen ärztliche Hilfe benötigen, was in einer Überlastung der Ärzte gipfelt. Zusätzlich zeichnet sich in den geografischen Randgebieten, also in abgelegenen oder ländlichen Regionen, ein Ärztemangel ab. Es gibt weniger Ärzte, die in diesen Gebieten praktizieren, was zu einer ungleichen Verteilung der medizinischen Ressourcen führt. Die Bewohner dieser Regionen haben oft Schwierigkeiten, eine angemessene ärztliche Versorgung zu erhalten, da sie weite Wege auf sich nehmen müssen, um medizinische Einrichtungen zu erreichen.

Um diesem Problem entgegenzuwirken, sind verschiedene Maßnahmen erforderlich. Das Modell der multiprofessionellen Primärversorgung trägt nachhaltig dazu bei, diese Herausforderungen besser bewältigen zu können.

Psychologie: Partner in der Primärversorgung

Eine engere Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen, insbesondere mit Psychologen, fördert optimale psychosoziale Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Therapie. Fest steht, dass jede Erkrankung sowohl mit psychischen Belastungen als auch mit sozialen Sorgen und Belastungen einhergeht oder diese wiederum das Auftreten von Erkrankungen begünstigen.
Hier setzt das Konzept der Primärversorgung an, das darauf abzielt, den Heilungsprozess durch multiprofessionelle Unterstützung zu beschleunigen. Zudem können längere Krankenhausaufenthalte reduziert werden. Insbesondere Patienten mit chronischen Krankheiten leiden oft unter psychischen Belastungen wie Angstzuständen, Schlaflosigkeit und fallweise auch Depressionen. Um eine ganzheitliche Unterstützung der Patienten zu gewährleisten, ist es entscheidend, abgestimmte psychologische Behandlungspläne einzusetzen. Die Einbeziehung der Klinischen Psychologie und der gesundheitspsychologischen Aspekte in der multiprofessionellen Behandlung innerhalb der Primärversorgung ermöglicht es den Patienten, ein besseres Verständnis ihrer Erkrankung zu erlangen und Entlastung zu erfahren.
Es ist evident, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Klinischen Psychologen und Gesundheitspsychologen in einem Primärversorgungsteam sowohl die Arbeitszufriedenheit der Teams als auch die Zufriedenheit der Patienten erheblich steigert. Eine unverzichtbare Voraussetzung dafür ist der Respekt vor den jeweiligen Kompetenzen der verschiedenen Gesundheitsberufe und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Im Primärversorgungsteam wird somit endlich das Konzept des „Patienten im Mittelpunkt“ umgesetzt. Die Menschen erhalten eine umfassende Versorgung, bei der psychische und soziale Aspekte ihrer Gesundheit stärker berücksichtigt werden als zuvor. In Teambesprechungen werden optimale Behandlungswege erarbeitet.

Ganzheitlicher Ansatz zur Patientenversorgung

Um die Gesundheit der Bevölkerung in Österreich langfristig und nachhaltig aufzubauen sowie aufrechtzuerhalten, ist eine gute psychologische Versorgung essenziell – einem niederschwelligen Zugang zu klinischen Psychologen und Gesundheitspsychologen kommt demnach im Rahmen der Primärversorgung eine große Bedeutung zu. Die Berufsgruppe ist speziell dafür ausgebildet, Compliance herzustellen, die Krankheitsverarbeitung bei somatischen Erkrankungen zu begleiten und im Bereich der Prävention aktiv mitzuwirken. Chronische Erkrankungen wie Adipositas, Rheuma, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnten unter Mitwirkung von Klinischen Psychologen und Gesundheitspsychologen weitaus elaborierter behandelt werden.  Klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen spielen einen wichtigen Part bei der Bereitstellung eines umfassenden und ganzheitlichen Ansatzes zur Patientenversorgung. Die umfassende akademische und postgraduelle Ausbildung vermittelt das Wissen und die Erfahrung, interdisziplinär und kultursensibel zu arbeiten – es entspricht ihrem langjährigen Berufsverständnis und ihrer Berufspraxis als Psychologen, in Teams und kollegialer Zusammenarbeit die Bedürfnisse und Sorgen zu erkennen sowie schnell und niederschwellig Hilfe zu leisten.

Aufgaben im PVE

Es gibt eine Vielzahl an Aufgaben, welche mit der Integration von Klinischen Psychologen und Gesundheitspsychologen in die Primärversorgung einhergehen. Die präventive Behandlung von Menschen mit Risikofaktoren (Adipositas, Nikotinabusus, Alkoholabusus, Nährstoffmangel, Bewegungsmangel, chronischer Stress) sowie die sekundär und tertiäre Gesundheitsprävention werden beispielsweise von Gesundheitspsychologen durchgeführt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der primären und sekundären Prävention ist das leider weitverbreitete und hochtabuisierte Thema der Gewalt. Nachweislich leiden Frauen, die körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt erfahren haben, nicht nur doppelt so häufig an Depressionen, Alkohol- oder Tablettenabusus, sondern weisen zudem eine höhere Schmerzempfindlichkeit und eine niedrigere Schmerzschwelle auf. In Bezug auf körperliche Beschwerden zeigen Studien, dass Frauen, die Gewalt erfahren haben, häufiger über Schmerzen wie Schmerzen im Stützapparat klagen. Die Zusammenarbeit zwischen Klinischer Psychologie und Gesundheitspsychologie im Team, niedrigschwellig und auf direktem Wege, könnte hierbei angemessene Behandlung anbieten. Die Gesundheitspsychologie ist jene Disziplin, die sich als erste Wissenschaft darauf konzentriert, was ein Mensch braucht, um gesund zu bleiben, und nicht auf die Krankheit fokussiert. Sie erhebt und analysiert gesundheitsbezogene Daten betreffend Personen aller Altersstufen und Altersgruppen, zieht daraus gesundheitspsychologische Schlüsse, leitet, darauf basierend, gesundheitsförderliche Maßnahmen ab und implementiert diese.
Die Anwendung von Screening- und Diagnoseverfahren bei verschiedenen psychischen Störungen wie Depressionen, Angstzuständen, posttraumatischen Belastungsstörungen, sowie bei somatischen Erkrankungen wie Schmerz und Diabetes gehören ebenso zum Kompetenzprofil von Klinischen Psychologen und Gesundheitspsychologen. Standardisierte Fragebögen, Interviews und andere diagnostische Instrumente helfen dabei, Patienten zu identifizieren, die weitere Behandlungen benötigen. Die psychologische Beratung ist ein weiterer unterstützender Faktor bei der Bewältigung von stressbedingten Problemen, Beziehungsproblemen oder chronischen Erkrankungen. Sie trägt dazu bei, Strategien zur Stressbewältigung, Entspannung oder Veränderungen im Lebensstil zu entwickeln.

Teambasierte Primärversorgung

Ärzte spielen eine äußerst wichtige Rolle im Gesundheitswesen und haben einen hohen Stellenwert für die Gesellschaft. Eine umfassende Gesundheitsversorgung kann jedoch nicht aufrechterhalten werden, wenn die Primärversorgung ausschließlich rund um den ärztlichen Gesundheitsberuf angesiedelt wird. Der entscheidende Mehrwert der Primärversorgung sollte darin liegen, eine maximale Kompetenzvielfalt rund um den Patienten zu etablieren und diese in einem Team zu kombinieren, in dem alle Gesundheits- und Sozialberufe auf Augenhöhe kooperieren. Das bedeutet, ein gemeinsames Einbringen von Kompetenzen und Perspektiven und gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten.

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a.o. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger© Inge Prader